Inhaltsangabe

Rezensionen

Kleine Anfragen im Deutschen Bundestag und Antworten des Bundesministeriums der Verteidigung
Rezensionen

Link zum Zeitungs Artikel

POLITISCHE BÜCHER Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.06.2008, Nr. 133, S. 8

Übererfüllter Kampfgeist, radikale Vergeltung
Für Traditionsbezüge der Bundeswehr nicht geeignet: Geschichte der 1.
Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg

Kampfeinsätze und die Erinnerung daran sind seit langem ein Thema von Selbstbewertung und Fremdeinschätzung der deutschen Gebirgstruppe. Hermann Frank Meyer hat sich - zunächst aus familiärem Interesse, dann durch akribische Quellenarbeit - vom Hobbyforscher zum Fachmann entwickelt. Umfassende Recherchen in Archiven und Gerichtsakten sowie Befragungen von
Zeitzeugen lassen ihn jetzt den Weg der 1. Gebirgs-Division von ihrer Aufstellung bis zum Kriegsende 1945 beinahe minutiös nachzeichnen. Entstanden ist ein Gefechtskalender der besonderen Art. Der Kriegseinsatz bildet einen unter mehreren Berichtsträngen. Eng verknüpft damit ist eine Biographie ihres zeitweiligen Kommandeurs, General Hubert Lanz (1896-1982). Über sein Porträt wird die Geschichte der Division folgerichtig ausgeweitet auf die kurzzeitige "Armee-Abteilung Lanz" (1943), dann auf das XXII. Gebirgs-Armee-Korps (1943/45). Dessen Einsatz im Partisanenkampf und die Verantwortung der Kommandeure auf den verschiedenen Ebenen f ür eine Kampfweise, deren!
Extreme zu Recht als "Kriegsverbrechen" qualifiziert werden, machen den eigentlichen Schwerpunkt aus.

Zu knapp fallen die Aufbaujahre der Division aus. Die besondere Affinität des hier gefragten Kämpfertypus zum nationalsozialistischen Kriegerideal, gipfelnd in der frühzeitigen Hervorhebung als "Eliteverband" durch Hitler, wird wohl konstatiert, aber nicht wirklich analysiert. Hier bleibt vergleichende Forschung zu anderen Spezialtruppen der Wehrmacht ein Desiderat der Zukunft. Detailliert wird der Weg in den Feldzügen in Polen, auf dem Balkan und in der Sowjetunion nachgezeichnet, wobei die Gebirgstruppe zunächst noch als infanteristischer Kampfverband im Bewegungskrieg fungierte. Den von ihr erwarteten Kampfgeist sollten ihre Soldaten schon im Polen-Feldzug übererfüllen. Anerzogener Schneid schlug sich freilich in überhohen Verlusten nieder. Wie schnell Härte im Gefecht in unverantwortliches Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung umschlagen konnte, wurde bereits zu Beginn des Ostfeldzugs 1941 deutlich, als die Divisionsführung mitverantwortlich war an den Massakern in Lemberg, die neben dem Moment der Vergelt! ung auch unverkennbar rassistische Züge trugen. Zur Bewährung im Gebirgskrieg kam es erst beim Vorstoß in den Kaukasus 1942. Dabei stießen Führung und Truppe an die Grenzen eines vom Elitebewusstsein geförderten, unbedingten Einsatzwillens. Ihr Kommandeur erkannte wohl beim schließlich gescheiterten Vorstoß zum Schwarzen Meer die Überforderung seiner ausgebrannten Truppe, setzte ihr aber dennoch unerreichbare Kampfziele. Unverantwortlich hohe Verluste waren einmal mehr die Folge. Die Division musste herausgelöst und ab Frühjahr 1943 zum Partisaneneinsatz auf den Balkan verlegt werden.

Hier fielen endgültig letzte Hemmungen bei der Unterscheidung von militärischem Gegner und ihn unterstützender Bevölkerung. Die kriegsrechtlich unverantwortlichen Sühnebefehle der Wehrmachtführung von 1941/42 wurden nahezu kritiklos übernommen, Gefangene schon in Montenegro auf beiden Seiten kaum noch gemacht. Gänzlich unverhältnismäßige Repressalien gegen die ansässige Bevölkerung wie Geiselerschießungen und das Niederbrennen von Dörfern wurden zu zentralen Bestandteilen der Einsatzdoktrin. Eine letzte Steigerung erfuhr dies alles nach Übernahme der militärischen Verantwortung für die Sicherung Westgriechenlands gegen eine erwartete alliierte Landung ab Sommer 1943 durch das von Lanz kommandierte XXII. Gebirgs-Armee-Korps. Die Vorgaben der Wehrmachtführung wurden in einem Sühnebefehl der Truppe noch radikalisiert. Da man die Einheimischen ausnahmslos als "Sympathisanten" verdächtigte, fielen auch die Grenzen zwischen Partisanen und Bevölkerung. Eine Spur der Vernichtung begleitete bereits den Vormarsch im S! ommer 1943, unter anderem aber die Einsätze bis zum Rückzug aus Griechenland im Herbst 1944. Erschießung aller als Partisanenhelfer verdächtigen Männer, Abtrieb des Viehs und Abbrennen ganzer Dörfer dominierten das Vorgehen im Kampfgebiet. Ein deutscher Gefreiter vertraute seinem Tagebuch an, dass eigene Einsätze oft "mehr Raubtrupp als Spähtrupp" seien. Dabei traf die Vergeltung immer mehr die Zivilisten als die Partisanen. Vergleiche eigener Kampfverluste und massenhafter Opfer unter der Bevölkerung, darunter bald auch Frauen und Kinder, zeichnen verheerende Bilder. Dazu gehörte schließlich auch die aktive Beteiligung der Truppe in Ioannina an der Räumung des jüdischen Ghettos als Voraussetzung für die Deportation seiner Bewohner in die Vernichtungslager.

Ein besonderes Kapitel stellt das Vorgehen gegen die bislang verbündeten Italiener nach deren Ausscheiden aus der "Achse" im Herbst 1943 dar. Soweit sie sich nicht kampflos ergaben, verfielen sie radikaler Vergeltung. Gegen jedes Kriegsrecht verstoßende Massenerschießungen auf Kefalonia und Rhodos mit Berufung auf einen "Führerbefehl" hätten für Lanz als Kommandierenden General beim Prozess gegen die Südostgenerale 1948 sicher zur Strafverschärfung geführt, wäre von den Alliierten nur sorgfältiger ermittelt worden. Kaum erfolgreicher sollten sich deutsche Gerichte bei der juristischen Aufarbeitung bewegen. Ein gut organisierter "Kameradenkreis" nahm nicht nur wirksamen Einfluss auf die Zeugenaussagen. Seine auf Kameradschaft und Tapferkeit reduzierte Sicht suchte eigenes Traditionsverständnis auch an die Gebirgstruppe der Bundeswehr weiterzugeben. Erst beim Gedenken an das Massaker von Kommeno 2003 sollte sich der Präsident des "Kameradenkreises" beim Besuch vor Ort zu der überfällig en Forderung verstehen, "! begangene Kriegsverbrechen . . . einwandfrei aufzuarbeiten". Wer in Zukunft über Traditionsbezüge zwischen der Gebirgstruppe der Wehrmacht und der Bundeswehr redet, kann in der Tat dazu nicht mehr schweigen.

BRUNO THOSS





© H.F. Meyer 2007 |