Sühnemaßnahmen

Rezensionen

Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-Division durch Serbien und Griechenland

Hermann Frank Meyer,
Von Wien nach Kalavryta.
Die blutige Spur der 117.
Jäger-Division durch Serbien und Griechenland
(Mannheim: Peleus, 2002)

Das Buch ist nur noch über den Rutzen-Verlag erhältlich
ISBN 978-3-941336-10-0


Sie finden es auf der Website unter PELEUS Band 12 .

In seinem neuen, umfangreichen, reich bebilderten und mit zahlreichen Plänen und Statistiken versehenen Buch schildert H. F. Meyer den gesamten Kriegsverlauf auf der Peloponnes.

Hitler, der den Krieg auf dem Balkan nie wollte, da sein ganzes Streben auf den Krieg gegen die Sowjetunion fokussiert war, wurde durch Mussolinis Großmannssucht und Unvermögen in die Auseinandersetzungen hineingezogen. Nach der Besetzung Kretas und dem sogenannten schwarzen Winter 1941/1942, als etwa 35.000 Menschen in Athen elendig verhungerten, kam es zu einem ersten Aufflammen der griechischen Widerstandsbewegungen.

Der Autor folgt dem Weg der 717. Infanterie-Division, die 1941 aus älteren Jahrgängen in Wien aufgestellt wurde, und als sogenannte Sicherungsdivision in Serbien zum Einsatz kam. Doch dort sah sie sich sofort in Partisanenkämpfe verwickelt, bei denen auf beiden Seiten kaum Gefangene gemacht wurden. Der Verfasser zeigt erschütternde Dokumente, wie im nüchternen Rechenverfahren die Anzahl der zu erschießenden Geiseln ermittelt wurde. Auf Grund des sogenannten, von Keitel unterzeichneten Sühnebefehls, waren demnach für jeden umgebrachten Deutschen 100 Geiseln und für jeden verwundeten 50 Geiseln zu töten. Die Division hat den Befehl unbarmherzig umgesetzt.

Im April 1943 wurde die Division auf die Peloponnes verlegt, um dort zwei italienische Divisionen zu unterstützen. Hitler befürchtete, die Invasion der sogenannten Festung Europa würde dort durch die in Nordafrika massierten alliierten Truppen erfolgen, nachdem Rommels Wüstenkorps kapituliert hatte. Als die Division in Griechenland eintraf, wurde sie dort "aufgefrischt", d. h. ältere Jahrgänge wurden durch jüngere ausgetauscht und bei Theben ausgebildet. Unter der Führung des Generals der Gebirgstruppen, Karl von Le Suire, unterstand sie dem Kommandeur des LXVIII. Armeekorps in Athen, Hellmuth Felmy.

Der Autor hat die Lebensläufe der beiden Generäle recherchiert und zeichnet ein akribisches Bild, wie einerseits ein eher moderat gestimmter und um Ausgleich bedachter Felmy und andererseits der eher burschikose und kompromißlos durchgreifenden Le Suire schließlich befahlen, auch in Griechenland Geiseln erschießen zu lassen, um der anwachsenden Widerstandsbewegung Herr zu werden. Der Autor beschreibt dabei die Rolle der Briten, die auf der Halbinsel per Fallschirm abgesetzt werden, um die Freischärler zu unterstützen und diese mit Waffen zu versorgen. Er zeichnet den Lebensweg der Männer nach, die die Partisanen anführen und schildert das unermeßliche Leid der Zivilbevölkerung. Egal wie die Partisanen, die Briten, die Italiener oder die Deutschen agieren, sie sind in jedem Fall die Leidtragenden der blutigen Auseinandersetzungen.

Dabei agieren die Briten äußerst ungeschickt. Durch ihre Politik, nur die königstreue ES-Widerstandsbewegung zu unterstützen, ziehen sie den Widerwillen der linksorientierten und von der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) unterwanderten ELAS/EAM-Bewegung auf sich. Blutige Gefechte unter den Widerstandsbewegungen sind die Folge, die schließlich in der Eliminierung der ES durch die ELAS münden. Jene, die jedoch den Nachstellungen der ELAS entkommen und mit der Unterstützung der Briten nicht mehr rechnen können, laufen nun in die offenen Arme der Deutschen. Die von diesen zur Jahreswende 1943/1944 aufgestellten sogenannten Sicherheitsbataillone werden nun gezielt gegen ihre linksgerichteten Landsleute eingesetzt. Die Erste Runde im griechischen Bürgerkrieg war damit vorprogrammiert.

Unterdessen hatten die Italiener im September 1943 kapituliert. Den nur sporadisch über die Halbinsel verteilten deutschen Truppen gelang es nicht, die Kontrolle über deren Waffenlager zu übernehmen. Viel Kriegsmaterial gelangte in die Hände der Rebellen, die damit den deutschen Besatzern immer mehr zusetzten. Und obwohl diese mit der Erschießung von Geiseln drohten, flauten die Übergriffe der Partisanen nicht ab. Im November 1943 ließen die Deutschen die ersten Geiseln erschießen. Weitere 27 größere Massaker, sogenannte Sühnemaßnahmen, folgten, oft auch mit Unterstützung der Sicherheitsbataillone. Auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten, Gerichts- und Militärakten, gelingt dem Autor ein lückenloses Nachzeichnen der schrecklichen Ereignisse. Bis zum Rückzug der deutschen Truppen im Herbst 1944 büßen mindestens 2.319, oft vollkommen unschuldige Geiseln mit ihrem Leben für den Tod von 370 ermordeten Deutschen.

Zwangsläufig ergibt sich aus der Schilderung dieser Ereignisse, daß das "Unternehmen Kalawrita" zum zentralen Thema des Buches wird: Im Oktober 1943 wurden 78 Deutsche bei einem Gefecht mit den Partisanen von Freischärlern gefangengenommen, die zum Großteil aus der Kleinstadt Kalavryta stammten.

Drei deutsche Verletzte wurden kurz darauf in der Nähe von Kalavryta und des Klosters Aghia Lavra, von dem die Freiheitsbewegung im Jahr 1821 ausging, ermordet. Als wochenlange Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch zu keinem Ergebnis führten, ließ Le Suire im Dezember ein Unternehmen anlaufen, um das "Partisanengebiet zu säubern" und mit dem Ziel, die deutschen Gefangenen zu befreien. Ausdrücklich ordnete er in seinem Einsatzbefehl an, daß der Feind »sofort rücksichtslos anzugreifen und unter Einsatz aller schweren Waffen zu vernichten« sei und daß »Ortschaften, aus denen geschossen wurde (…), niederzubrennen und die Männer zu erschießen« seien.

Das Unternehmen mißlang aus Sicht der Deutschen, denn die ELAS ließ die Gefangenen angesichts der anrückenden Deutschen ermorden. Außerdem konnten die Deutschen den Gegner nicht stellen, da die Partisanen sich in der Zwischenzeit aus dem Gebiet um Achaia abgesetzt hatten.

Unzählige Bücher und Berichte wurden nach dem Krieg über das "Unternehmen Kalawrita" geschrieben. Kalavryta wird dabei zu recht in einem Atemzug genannt mit Lidice und Oradour-sur-Glane. Dem "Unternehmen Kalawrita" gebührt das unrühmliche Attribut, daß es sich hierbei - nach der Anzahl der Toten gerechnet - um das umfangreichste Massaker handelt, das von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg außerhalb der Länder mit slawischer Bevölkerung durchgeführt wurde. Der Verfasser stellt jedoch fest, daß viele Berichte auf Unwahrheiten und Vermutungen beruhen. Damit wurde der Legendenbildung Tür und Tor geöffnet. Zum Beispiel erhöhte sich im Laufe der Jahre nicht nur in den Berichten sondern auch in Ermittlungsverfahren die Anzahl der Opfer. Als Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000 Kalavryta besuchte, stand auch er unter dem Eindruck, daß in Kalavryta etwa 1.400 Männer ermordet wurden. Diese Meldungen sind übertrieben; auf der Suche nach der Wahrheit sind Überteibungen wenig dienlich.

Nach Erkenntnissen des Verfassers, der Namenslisten ausgewertet hat, die unmittelbar nach den Massakern erstellt wurden und zudem alle betroffenen Ortschaften besucht hat, ergibt sich folgendes Detailbild:

Erschießungsstätte

Tag/Dez.

Opfer
Pagkrati
Lapanagous
Planiterou
Rogoi
Kerpini
Bei Kerpini
Ano Zachlorou
Kato Zachlorou
Mega Spilaion
Majerou
Kalavryta und Vrachni
Aghia Lavra
Mazeika
Psari, Asprokampos
5.
8.
8.
8.
8.
8.
8.
8.
8.
9.
10., 13. und 14.
14.
14.
15.
7
5
4
58
37
5
8
13
22
11
487
5
8
7

Von diesen 677 Personen wurden am 13. Dezember 1943 genau 477 in Kalavryta hingerichtet. Die Differenz zu den von den Deutschen gemeldeten 696 Erschossenen kann damit erklärt werden, daß einerseits 15 Männer die Erschießungen in Kalavryta und Rogoi überlebten, und andererseits Personen auf den An- und Abmarschwegen "aufgegriffen" und umgebracht wurden. Da Le Suire auf genaueste Meldungen seiner Offiziere pochte, kann davon ausgegangen werden, daß die von seiner Division gemeldeten Zahlen stimmen. Berücksichtigt man die Anzahl der Überlebenden des Massakers, so wurden während des Unternehmens "Kalawrita" mindestens 681 Zivilisten erschossen.

Nach dem Studium der Nürnberger Prozeßakten und zweier grösseren Ermittlungsverfahren, die nach dem Krieg von den Staatsanwaltschaften in München I und Bochum geführt wurden, belegt Meyer zudem, daß von den zuständigen Staatsanwälten auffällig nachläßig ermittelt wurde. Ein Verfahren gegen die Verantwortlichen wurde nie eröffnet, da diese, so die Staatsanwaltschaft, nicht mehr ermittelt werden konnten. Der Verfasser beweist jedoch, daß zwei der hauptverantwortlichen Täter zur Zeit der Ermittlungen in Österreich lebten. Bis zu ihrem Tode wurden sie nie zur Verantwortung gezogen.

Nach dem "Unternehmen Kalawrita" verlagerte sich der Kampf gegen die Partisanen zunehmend auf die Südhälfte der Peloponnes. Im ersten Halbjahr kam es zu täglichen Übergriffen und entsprechenden Reaktionen der Deutschen. Der grausige Höhepunkt war ein Überfall auf den deutschen General Krech, der mit drei Begleitern ermordet aufgefunden wurde. Deutsche und mit ihr kollaborierende griechische Verbände erschossen daraufhin 335 Geiseln. Als die Deutschen sich schließlich im Oktober von der Peloponnes zurückzogen, hinterließen sie eine zerstörte Infrastruktur und ein verwüstetes Land. Eine rühmliche Ausnahme war die wichtige Hafenstadt Patras, deren Hafeninstallationen aufgrund der rührigen Vermittlungstätigkeit des Delegierten des Internationalen Roten Kreuzes, des Schweden Hans Ehrenstråle, intakt blieben.

Ihr Schicksal ereilte die 117. Jäger-Division schließlich auf dem Rückzug durch Jugoslawien. Allein in der zweitägigen Schlacht um Belgrad verlor sie mehr Soldaten, als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf. Im Frühjahr 1945 nach Österreich zurückverlegt, um dort ihre Heimat gegen die anrückende Rote Armee zu verteidigen, befand sie sich noch einen Tag nach der Kapitulation in verzweifelten Stellungskämpfen gegen die Rote Armee. Ihr Bestreben, in amerikanische anstatt in sowjetische Gefangenschaft zu gehen, war erfolgreich. Die Soldaten wurden von den Amerikanern entwaffnet und kurz darauf nach Hause entlassen. Nach Recherchen des Verfassers kamen über 6.000 Divisionsangehörige im Laufe des Krieges ums Leben.

Die niedersächsische Politikerin und Historikerin Ehrengard Schramm von Thadden war die erste Deutsche, die 1952 Kalavryta besuchte. Der Verfasser schildert, was danach vor allem von privater Seite an Wiedergutmachungsleistung erfolgte. Er geht dabei auch auf die aktuelle Diskussion über weitere Zahlungen ein, die von Griechenland gefordert werden, zumal es bisher nicht zu einem Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern gekommen ist.

Das Buch umfaßt 560 Seiten und enthält etwa 240 teils einmalige Fotos und Faksimiles.

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© H.F. Meyer 2007 |